Das Rote Kreuz und der Kanton Thurgau

Geschichte

(rk) Die Verbindung zwischen dem Roten Kreuz und dem Kanton Thurgau rühren von Alters her: Ihre Ursprünge reichen gar zurück bis auf die Gründung dieser humanitären Institution.

Das Rote Kreuz und der Kanton Thurgau

Nachdem am 17. Juli 1866 in Bern die nationale Gesellschaft des Schweizerischen Roten Kreuzes unter dem Namen «Hülfsverein für schweizerische Wehrmänner und deren Familien» gegründet wurde, nahm bereits im Oktober desselben Jahres eine Thurgauer Sektion ihre Tätigkeit auf. Präsidiert wurde sie vom Direktor des Kantonalen Lehrerseminars Johann Ulrich Rebsamen. Seine Verbindungsperson zum Zentralkomitee war der Thurgauer Ständerat Sulzberger; eine weitere wichtige Bezugsperson fand sich in Regierungsrat Haffter.

Der deutsch-französische Krieg 1870 bis 1871 zeigte die Nützlichkeit des Roten Kreuzes auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene auf. Im Thurgau waren seine Mitglieder vor allem um das Wohlergehen der internierten Soldaten der Bourbaki-Armee bemüht: 4133 Internierte waren es insgesamt, verteilt auf Arbon (410), Bischofszell (432), Frauenfeld (1221), Diessenhofen (im Kloster St. Katharinental, 1027), Weinfelden (540) und Tägerwilen (503). Dieser Konflikt war sozusagen die Feuertaufe für das junge Rote Kreuz und der Anlass, die Ideale Henry Dunants in unserem Land bekannt zu machen.

1906: Sektion Frauenfeld gegründet

Trotz allem musste man bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts warten, bis die humanitäre Institution richtig in der Bevölkerung Fuss fassen konnte und in der Folge in den meisten Gebieten des Kantons Sektionen entstanden. Im Jahre 1906 wurde unter der Initiative von Dr. Albrecht die Sektion Frauenfeld gegründet und kurz darauf, im Jahre 1907, wurde unter der Leitung von Dr. G. Schildknecht die Sektion Mittelthurgau mit Sitz in Weinfelden errichtet. Im Jahre 1910 folgte die Sektion Hinterthurgau, präsidiert von Dr. Walder aus Wängi. In diesem Zusammenhang gilt es ein charakteristisches Merkmal der Entwicklung des Roten Kreuzes im Thurgau hervorzuheben: Entscheidend dafür war die enge Bindung und Zusammenarbeit zwischen den Rot-Kreuz-Sektionen und den Sektionen der Samariter! Es scheint als hätte der Kanton Thurgau bereits damals den Prozess der Neustrukturierung und der Zusammenarbeit im Jahre 2000 vorhergesehen!

Die Aktivitäten der ersten Jahre des Roten Kreuzes umfassten, ausser der Mitgliederwerbung und der Suche nach finanziellen Mitteln, die Organisation von Krankenpflege- und Erste-Hilfe-Kursen, die Einrichtung von Depots für medizinische Mittel und den Kampf gegen die Tuberkulose. Nicht zu vergessen ist auch die Kolonne des Roten Kreuzes, welche im August 1914 anlässlich der allgemeinen Kriegsmobilmachung zum ersten Mal in Erscheinung trat. Diese Kolonne umfasste rund 40 Mitglieder und hatte ihr Aufgabenfeld im militärisch-medizinischen Bereich. Als Teil der Sanitätstruppen der Armee war sie um den Transport verwundeter oder kranker Soldaten besorgt.

Aktiv während den Kriegsjahren

Die Kriegsjahre 1914 bis 1918 setzten enorme Energien frei: Die Thurgauer Sektionen engagierten sich stark in den durch die besonderen Umstände neu geschaffen Aufgabenbereichen. Dazu gehörten zum Beispiel: Sammlungen von Naturalien und auch von finanziellen Mitteln für die mobilisierten Schweizer Soldaten, Kampagnen zur Mittelbeschaffung für das IKRK (für Kriegsgefangene, Flüchtlinge). Ein wichtiger Punkt war auch die Abgabe von Verpflegung am Bahnhof Kreuzlingen. Dort wurden deutsche und französische Schwerverletzte und Invalide versorgt, welche von der Front zurückkehrten und sich auf der Reise von Konstanz nach Lyon und vice-versa befanden versorgt.

In der Zeit zwischen den Weltkriegen folgten die Thurgauer Sektionen dem Beispiel der Nationalen Organisation des Roten Kreuzes. Sie setzten ihre Akzente in der Gesundheitsförderung, dem Kampf gegen Epidemien und Geschlechtskrankheiten. In diese Zeit, als sich auf internationaler Ebene zunehmend Spannungen abzeichneten, fällt auch die Gründung der vierten thurgauischen Sektion des Roten Kreuzes im Jahre 1936, unter dem Namen «Thurgauer See- und Rheintal». Sie wurde von Pfarrer Knellwolf aus Mammern präsidiert.

Während des zweiten Weltkrieges unternahmen die Sektionen grosse Anstrengungen zugunsten der Schweizer Soldaten, aber gleichzeitig auch zugunsten der Opfer des Konflikts im Ausland. Besonders den Kindern versuchte man mit der eigens dafür geschaffenen Organisation «Kinderhilfe» Hilfe zu leisten. Dies fand in beinahe ganz Europa, vor allem jedoch in Frankreich, Italien, Belgien und im Balkan statt. Man erinnert sich noch heute gut daran, wie zehntausende dieser «unschuldigen Opfer» für einen dreimonatigen Erholungsaufenthalt in Schweizer Familien Aufnahme fanden.

Die letzten 50 Jahre, geprägt durch das gewaltige wirtschaftliche Wachstum, neu entstandene Probleme in unserer Gesellschaft und auch neue Anforderungen und Ansprüche, stellten für das Rote Kreuz eine neue Herausforderung im Bereich der Gesundheit und der sozialen Aufgaben dar: Bildung und Förderung in der Gesundheits- und Krankenpflege, Aufnahme von Flüchtlingen, Überalterung der Bevölkerung, Nachbarschaftshilfe und so weiter.

Johann-Konrad Kerns Einsatz

Ein weiterer historischer Gesichtspunkt dürfte uns alle auch noch interessieren. Der Thurgauer Rechtsanwalt Dr. Johann-Konrad Kern (1808 bis 1888) war eine der treibenden Kräfte bei der Gründung des Roten Kreuzes im Jahre 1863 und er leistete auch massgebenden Anteil bei der Annahme der ersten Genfer Konvention im Jahre 1864. Er lernte in früheren Jahren auf dem Arenenberg im thurgauischen Ermatingen den Kaiser Napoleon III. kennen. Seine Beziehung zu Napoleon III. vertiefte sich, als er diesen 1838 in einem politischen Auslieferungsprozess, ausgehend von der französischen Regierung unter Louis-Phillipe, verteidigte. Später wurde Dr. Kern Gesandter der Schweiz in Paris. Dabei kam ihm seine gute Beziehung zu Napoleon III. zugute. Kern war es schliesslich, der Henry Dunant im Frühling 1864 die Türen zu den französischen Ministerien öffnete und somit diesem die Möglichkeit verschaffte, die französischen Minister von der Sache des Roten Kreuzes und der Idee der Neutralität der Kriegsverwundeten zu überzeugen. Ebenfalls sprach Kern wiederholt und mit Bestimmtheit beim Bundesrat vor, um diesen davon zu überzeugen, die Initiativen des «Komitees der Fünf von Genf», das spätere IKRK, zu unterstützen. Wenn wir die Memoiren Henry Dunants lesen, vernehmen wir, dass Dr. Kern der erste Botschafter des Roten Kreuzes in Japan war, denn anlässlich eines Besuches einer japanischen diplomatischen Delegation in Paris im Mai 1864, überreichte er dieser ein Exemplar von «Souvenir von Solferino», eine Rot-Kreuz-Armbinde, sowie diverse Broschüren. Der Thurgauer Dr. Johann-Konrad Kern wird uns in Erinnerung bleiben als der erste, der die humanitäre Rolle der Schweiz klar definierte. Er dachte der Schweiz folgende Rolle zu:

a) Aktive Teilnahme am Leiden des Nächsten sowie

b) Erfüllung der neutralen Staatsaufgaben, nicht nur mit Loyalität, sondern auch mit Humanität.

Für Johann-Konrad Kern stand über allen Differenzen der Rassen und Nationalitäten schlussendlich die menschliche Gemeinschaft. Die Schweiz solle stets darauf bedacht sein, nach diesen Prinzipien zu handeln und sich weltweit für die Beachtung der Menschenrechte einsetzen.

Quellennachweis:
Thurgauer Volksfreund 26. Juni 2000